Es ist nun etwa zwei Jahre her, als im November 2022 ChatGPT für die Weltöffentlichkeit freigeschaltet wurde. Eine Sensation: Der britische Informatiker und KI-Pionier Geoffrey Hinton sagte hierzu kürzlich im Spiegel-Interview: „Mit der Einführung von Konversationsrobotern wie ChatGPT hatten wir auf einmal ein Stadium erreicht, von dem ich dachte, das sei noch 50 Jahre entfernt.“ Wenn es selbst die Wissenschafts-Community umhaut: Wie könnten wir uns der Faszination dieser neuen Technologie entziehen? Zumal sie uns wahre Superkräfte verleiht: Eine Studie der Havard Business School kommt zu dem Ergebnis, dass Generative KI Wissensarbeiter 25 Prozent schneller und 40 Prozent besser macht. Kann es ein besseres Argument geben, warum die KI-Revolution kein Hype ist?
In der Zwischenzeit hat es zudem viele weitere Durchbrüche gegeben. Zum Beispiel beim autonomen Fahren, das als eine der anspruchsvollsten KI-Anwendungen gilt. Zum einen, weil unglaublich viele Daten von Wetter bis Verkehr miteinander verknüpft werden müssen. Zum anderen, weil Fehler tödlich enden können. Seit Juni 2024 hat die Alphabet-Tochter Waymo ihren kommerziellen Robotaxi-Dienst nach Phoenix nun auch in San Francisco aufgenommen. Und das in einer Stadt, die durch komplexe Wetter- und Verkehrsverhältnisse geprägt ist. Über 50.000 Fahrten machen die Robotaxen mittlerweile pro Woche. Bei über 3,8 Millionen gefahrenen Kilometern gab es bis dato nur 19 leichte Unfälle – viel weniger, als wenn Menschen am Steuer gesessen hätten. Es braucht wenig Vorstellungskraft, dass nach San Francisco weitere Städte und Länder folgen und damit der globale Mobilitätsmarkt disruptiert wird.
Einordnung: Wir sind dennoch gefangen im Hype Cycle
Künstliche Intelligenz wird letztlich in jeder Branche eine gewaltige Transformation auslösen. Die Umbrüche sind vor allem dort besonders heftig, wo große Kommunikations- und Datenströme fließen – nicht zuletzt in der Finanzindustrie. Hier machte kürzlich der Zahlungsdienstleister Klarna auf sich aufmerksam. Seit Anfang 2024 wird ein Chatbot in der Kundenkommunikation eingesetzt. Dieser übernimmt zwei Drittel aller Anfragen in 23 Märkten und 35 Sprachen – 24/7. Der Chatbot macht die Arbeit von 700 Vollzeitangestellten, was Klarna einen zusätzlichen Profit von 40 Millionen Dollar beschert. Zugleich stieg die Kundenzufriedenheit. Kurzum: Angesichts der Effektivitätsgewinne wird kein Unternehmen in Zukunft darauf verzichten können, mittels KI seine Prozesse zu digitalisieren und zu automatisieren. Ansonsten ist man nicht mehr wettbewerbsfähig und verschwindet vom Markt.
Trotz dieser beeindruckenden Beispiele sprechen viele von einer KI-Blase. Diese spielt sich vor allem an den Börsen ab, wo Anleger die Kurse von KI-Firmen in die Höhen getrieben haben. Und nun enttäuscht sind, dass die Gewinne der Firmen nicht wie erwartet sprudeln. Das ist nicht verwunderlich: Die Entwicklung von KI benötigt große Investitionen und die Technologie befindet sich noch im Stadium eines dreijährigen Kindes. Die großen Potenziale werden erst in den kommenden Jahren entfaltet. So spielt sich auch diesmal der übliche Zyklus bei technologischen Transformationen ab. Erst überschätzen wir kolossal die Effekte, um sie kurz darauf ebenso stark zu unterschätzen. Das Marktforschungsunternehmen Gartner hat hierfür den „Gartner Hype Cycle“ entwickelt. Hinsichtlich der Einschätzung von KI erklimmen wir noch den „Gipfel der überzogenen Erwartungen“, um später das „Tal der Enttäuschungen“ und schlussendlich den „Pfad der Erleuchtung“ und das „Plateau der Produktivität“ zu erreichen.
Ausblick: KI ist die Chance auf ein neues Wirtschaftswunder
Wer morgen das „Plateau der Produktivität“ erreichen will, muss sich definitiv heute, besser gestern, mit KI beschäftigen – und das auf höchster strategischer Ebene. Denn Künstliche Intelligenz kann einen enormen Beitrag zum wirtschaftlichen Wachstum leisten – durch eine erhöhte Produktivität. Laut einer globalen PWC-Studie könnte KI bis zum Jahr 2030 bis zu 14 Prozent zum globalen Bruttosozialprodukt beitragen, was einem zusätzlichen Wert von etwa 15,7 Billionen US-Dollar entspricht. Diese beeindruckende Zahl unterstreicht die transformative Kraft von KI-Technologien. Für Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, ist KI „die größte Chance auf ein neues deutsches Wirtschaftswunder“.
Damit dieses Wunder passiert, braucht es vor allem eins: die Bereitschaft, sich auf diese neue Technologie einzulassen. Die Haltung, dass in den USA die Zukunft entwickelt und in Europa reguliert wird, ist nicht wirklich hilfreich. Wir sollten daher alles tun, als Nation viel mehr in diese Zukunft zu investieren. Zum einen mit Geld. Zum anderen, indem wir den aufstrebenden KI-Startups hierzulande eine Bühne und eine Chance geben – und ihre Kunden werden. Bevor wir es nicht ausprobiert haben, wissen wir nicht, ob es funktioniert.
Hinweis: Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem gleichnamigen Workshop von Andreas Steinle auf der FI-Connect 2024.