KI in der Finanzbranche

FI-Magazin: Gehen wir in medias res: Ist ChatGPT klüger als seine Nutzer oder wie unterscheidet sich künstliche von menschlicher Intelligenz?

Jonas Andrulis: Keine Frage: Das, was KI-Systeme wie ChatGPT heute leisten, geht weit über das hinaus, was wir früher kannten. Das wirkt schon fast menschlich. Klüger ist ChatGPT deshalb nicht. Der Hauptunterschied liegt darin, dass KIs menschliches Verhalten reflektieren, das sie gelernt haben, ohne ein eigenes Bewusstsein zu besitzen. Während moderne KI-Systeme oft menschenähnliche Fähigkeiten zeigen, machen sie dennoch Fehler, die ein Mensch nicht machen würde. Wir haben es mit einer anderen Form der Intelligenz zu tun – und damit müssen wir umgehen lernen.

FI-Magazin: Wie sehen Sie die rasante Geschwindigkeit der technologischen Veränderungen, insbesondere im Bereich der KI?

Jonas Andrulis: Hier liegt meines Erachtens Grund, warum viele Menschen die Entwicklung mit Sorge betrachten. Die Geschwindigkeit des aktuellen technologischen Fortschritts ist in der Tat beispiellos. Eine McKinsey Studie hat einmal aufgezeigt, dass die Entwicklung ungefähr viermal so schnell abläuft wie die Veränderungen in der industriellen Revolution. Selbst für Experten ist es herausfordernd, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten. Das ist eine riesige Herausforderung für unsere Gesellschaft. Hier ist die Zusammenarbeit von Gesellschaft, Politik und Industrie von größter Bedeutung, um sicherzustellen, dass diese Zukunft mit KI im Einklang mit unseren Werten steht.

FI-Magazin: Sie haben die internationale Perspektive angesprochen. Wie sehen Sie die aktuellen Machtverhältnisse in der KI-Welt, insbesondere zwischen den USA, China und der EU?

Jonas Andrulis: Es gibt definitiv Bedenken hinsichtlich der Souveränität und Unabhängigkeit in der Welt der KI. Große Akteure in den USA und China investieren hohe Milliardenbeträge – denken Sie an Unternehmen wie Google oder Microsoft –, um eine maßgebliche Rolle zu spielen. Damit können aber auch Werte global dominant werden, die mit einem liberalen, freiheitlichen Demokratieverständnis nicht mehr viel zu tun haben. In Europa gibt es zugleich Bestrebungen, KI auf EU-Ebene zu regulieren, um einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen.

FI-Magazin: Sie haben ChatGPT erwähnt, ein Beispiel für die Zugänglichkeit moderner KI. Wie unterscheidet sich Ihr Dienst von einem solchen Tool?

Jonas Andrulis: Während ChatGPT beeindruckende Fähigkeiten für den allgemeinen Endverbraucher bietet, fokussiert sich unser Unternehmen auf spezialisierte Anwendungen in Bereichen wie Finanzen, Gesundheit und Verwaltung. Unsere Lösungen bieten Antworten zugleich aber auch Transparenz und Kontext.

FI-Magazin: Transparenz ist ein Schlüsselthema …

Jonas Andrulis: Transparenz ist im Finanzbereich und vielen anderen Sektoren entscheidend. Es geht darum, nachvollziehen zu können, warum und auf Basis welchen Wissens die KI zu einem bestimmten Ergebnis kommt. Gerade in den unseren Kernbranchen sind einfache, eindeutige Antworten eher die Ausnahmen. Deshalb müssen Experten die Antworten der KI prüfen und die Verantwortung übernehmen. Das ist mit ChatGPT nicht möglich. Unser Ziel ist es bei unserem Modell, den Wissensfluss von der Eingabe zur Ausgabe transparent zu machen. Wir haben dafür eine „Explain“ Funktionalität für unser eigenes Sprachmodell entwickelt. Wir können nicht nur zeigen, welches Wissen zu einer bestimmten Aussage unseres Modells geführt hat, sondern wir können auch zeigen, welches Wissen gegebenenfalls den Aussagen widerspricht. Erst dann hat ein Mensch den vollständigen Kontext, um entscheiden zu können, ob er sich die Aussage – zum Beispiel eine Empfehlung – zu eigen macht.

FI-Magazin: Wie sieht das im Bereich der Finanzbranche aus?

Jonas Andrulis: Nehmen wir das Beispiel Finanzanalysen. Tatsächlich ist es so, dass gerade bei Quartalsberichten enorm viel Information gesucht, orchestriert, gruppiert und erzeugt werden muss. In börsennotierten Gesellschaften beschäftigt so ein Bericht ein „kleines Dorf". Was wir anstreben ist, die Qualität und Übersichtlichkeit dieser Prozesse zu erhöhen, sodass der Mensch nicht mehr einzeln suchen, lesen oder tippen muss. Stattdessen sollten sie in der Rolle eines orchestralen Autors agieren, der verschiedene Konzepte und Wissensquellen versteht und kombiniert.

FI-Magazin: Klasse, wann ist es soweit?

Jonas Andrulis: Wir sind noch ganz am Anfang, aber wir haben bereits erste Integrationen geschaffen. Die gesamte Wissensarbeit wird sich in den nächsten Jahren fundamental verändern. Das gilt auch für das Thema persönliche Beratung.

FI-Magazin: Wie ändert sich diese?

Jonas Andrulis: Beim Kundenkontakt passiert schon enorm viel. Zum Beispiel im Förderkontext haben wir Systeme geschaffen, die helfen, den undurchsichtigen Dschungel der vielen Fördermöglichkeiten zu durchblicken. Es gibt großartige Partnerschaften in diesem Bereich. Grundsätzlich geht es darum, dass die Schnittstelle zwischen Menschen und Informationen oder Systemen sich gerade wandelt.

FI-Magazin: Inwiefern?

Jonas Andrulis: In der Vergangenheit mussten die Menschen die Sprache der Maschinen lernen. Wir haben uns mit Mäusen, Tastaturen, Buttons, Eingabefeldern und Datenbanken angefreundet. Aber jetzt lernen die Maschinen unsere Sprache. Das erlaubt uns, mit Maschinen zu kommunizieren, wie wir es unter Menschen tun. Und diese Entwicklung ist ungleich mächtiger. Es ist eine spannende Zeit, und wir sind begeistert, Teil dieser Revolution zu sein.

FI-Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

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