FI-Magazin: Frau Koch, Anfang 2022 haben Sie das Ressort Anwendungsentwicklung von Andreas Schelling übernommen. Wie haben sie gemeinsam den Übergang gestaltet und welche persönlichen Ziele haben Sie sich gesetzt?

Julia Koch: Kontinuität und Verlässlichkeit sind hier vielleicht zwei gute Stichworte für die erste Zeit. Während der Phase des Übergangs haben Andreas Schelling und ich gemeinsam Termine und Themen wahrgenommen. Inzwischen teilen wir uns auf, um noch gezielter einzelne Themenkomplex weiterzuentwickeln. In den letzten Wochen und Monaten konnte ich bereits ganz unterschiedliche Gesprächspartner in der Sparkassen-Finanzgruppe und bei unseren Tochterunternehmen kennenlernen. Und, das ist mir besonders wichtig, mit unseren Sparkassen gab es bereits einen vielfältigen Austausch. Ich konnte bereits einige Institute besuchen und dabei viele neue Eindrücke und interessante Erkenntnisse gewinnen. Das passt gut zu meinem Ziel, schnell und vollumfänglich in der FI anzukommen und gemeinsam mit unseren Kunden und Mitarbeitenden die Anwendungen und Prozesse so zu entwickeln, dass diese Endkunden wirklich begeistern und von möglichst allen Sparkassen aktiv genutzt werden. Kurz gesagt: Die digitale Transformation in der FI und in der Sparkassen-Finanzgruppe gemeinsam aktiv zu gestalten und voranzubringen.

Wie würden Sie die drei Leitmotive der FI – die Kunden begeistern, den Verbund stärken, die Dynamik steigern – für Ihr Ressort »übersetzen«? Was steht auf Ihrer Agenda für die Sparkassen ganz oben? Und was sind die Erwartungen der Institute an die FI?

Julia Koch: Übersetzt für mein Ressort bedeutet dies, sämtliche Entwicklungen als End-to-End-Prozess ganzheitlich zu betrachten und digital zu gestalten: vom ersten digitalen Touchpoint der Kundin oder des Kunden im Internet bis in den letzten Winkel der Marktfolge. Das klingt vielleicht trivial, umfasst jedoch eine ganze Reihe von Entwicklungen für uns. Zum Beispiel müssen wir in der Anwendungsentwicklung darauf achten, all unsere Endkunden-, Vertriebs- und Serviceprozesse vom Kunden her zu designen und entwickeln. Zweitens müssen wir schneller aus Nutzer- und Nutzungsdaten lernen und die Erkenntnisse daraus direkt in die nächsten Releases einbringen. In der digitalen Transformation ist es für uns entscheidend, dass die Sparkassen die Anwendungen und Prozesse möglichst umfassend in der Breite einsetzen und diese dann auch intensiv genutzt werden. Eines der wichtigsten Werkzeuge dafür ist ProzessPlus für Sparkassen 2.0, kurz PPS 2.0. Mit den dort definierten Standards leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Effizienz und zur Wirtschaftlichkeit der Sparkassen. Mit den Standardprozessen, wie sie mit PPS 2.0 zur Verfügung gestellt werden, haben die Sparkassen die Chance, auf wachsenden betriebswirtschaftlichen Druck zu reagieren. Neu daran ist, dass für alle endkundenrelevanten Produktentwicklungen und Projekte von Anfang an kundenrelevante Faktoren mit einfließen. Hier betrachten wir durchgängig die User Experience (UX) und führen laufende UX-Tests und -Optimierungen durch. Diese werden in der laufenden Prozessentwicklung stetig überprüft und optimiert. Idealerweise gilt das schrittweise auch für die Landesbausparkassen (LBS), die Versicherer und unsere Verbundpartner wie z. B. Deka und dwpbank

Kommt das bei den Instituten als Botschaft schon an? Was bekommen Sie bei Ihren Treffen gespiegelt? 

Julia Koch: Bei meinen ersten Besuchen stand dort natürlich zunächst das gegenseitige Kennenlernen von Vorständinnen und Vorständen im Fokus. Interessanterweise sind mir dort aber häufig die gleichen Fragen begegnet: Wie können wir schnell und effizient die Lösungen der FI einsetzen? Wie erreichen wir schnell den gemeinsamen Standard PPS 2.0 und wer kann uns bei den notwendigen Veränderungen unterstützen, um unsere Aufwände so gering wie möglich zu halten? Aus meiner Sicht gibt es hier die ganz klare Erwartung an die FI, dass wir den Standard in der Gesamtorganisation gemeinsam entwickeln, bei der Einführung entsprechend unterstützen und letztlich nachhaltig umsetzen. Gemeinsames Ziel ist, die Customer Experience und den Grad der Digitalisierung unserer Lösungen, Prozesse und Anwendungen weiterzuentwickeln und damit zugleich die Wirtschaftlichkeit der Sparkasse zu unterstützen.

Lassen Sie uns einen kurzen Blick in die FI werfen: Eine der ersten Maßnahmen, die Sie in Ihrem Bereich eingeführt haben, war ein »Ask me anything (AMA)«, das steht für ein besonderes Format, bei dem alle Fragen erlaubt sind. Warum war Ihnen das wichtig und wäre das auch etwas für unsere Kunden?

Julia Koch: Das AMA ist sehr hilfreich bei dem direkten, offenen Austausch – gerade wenn man sich noch nicht so gut kennt. Mehr als 1.000 Mitarbeitende haben Anfang März virtuell teilgenommen und mir mehr als 200 Fragen zu ganz vielen verschiedenen Themen gestellt. Das Schöne daran: Über die Fragen habe ich sehr viel von den Kolleginnen und Kollegen gelernt, was sie aktuell bewegt und was bei den nächsten Entwicklungsschritten wichtig ist. Für den Dialog mit den Kunden gibt es bereits heute viele Gremien, z. B. das Sparkassenboard oder den Kundenbeirat, die unsere Kunden aktiv nutzen, um Dinge zu hinterfragen. Darüber hinaus sind meine Geschäftsführerkollegen und ich jederzeit für die Institute ansprechbar – im Sinne der »Zuständigkeit« ist bekanntlich jede Sparkasse einem FI-Geschäftsführer oder einer -Geschäftsführerin zugeordnet. Einzelne Vorstände oder Mitarbeitende aus Sparkassen kommen bei speziellen Themen ohnehin direkt auf uns zu, das klappt schon heute sehr gut. Wenn die Leserinnen und Leser noch ganz neue Vorschläge haben – ich bin für (fast alle) Ideen zu haben!

Die FI wird dank vieler Neueinstellungen weiblicher und jünger – sie selbst sind die erste Frau in der Geschäftsführung. Warum steckt aus Ihrer Sicht im Thema »Diversität« ein echter Erfolgsfaktor, dessen Stärke möglicherweise noch nicht überall gesehen wird?

Julia Koch: Für mich ist dieses Thema keine rein theoretische oder wissenschaftliche Diskussion, sondern entspricht einer praktischen Notwendigkeit. Auf drei Ebenen kann mehr Diversität für uns ein Erfolgsfaktor sein.

  1. Die Sparkassen haben zusammen über 50 Mio. Kunden – viel breiter oder diverser kann man hierzulande gar nicht aufgestellt sein. Das heißt für uns: Wenn wir wissen wollen, wie unsere Kunden denken und handeln, dann geht es nicht allein über Datenerfassung oder Statistik. Im besten Fall habe ich ein Team, das ähnlich divers aufgestellt ist und sich sehr gut in die Zielgruppen hineinversetzen kann. Ein diverses Team kann also besser Produkte und Lösungen für eine diverse Zielgruppe entwickeln.
  2. Diverse Teams sind, das zeigen viele Studien und das ist auch meine berufliche Erfahrung, kreativer und innovativer – sie stellen Bestehendes eher in Frage und suchen nach neuen Ansätzen.
  3. Selbstverständlich sind die demografische Entwicklung und der angespannte Arbeitsmarkt auch eine Herausforderung für die FI. Wir suchen in allen Ressorts neue Mitarbeitende – von der Anwendungsentwicklung bis hin zur Projektleitung. Wir verbessern als Arbeitgeber unsere Chancen erheblich, wenn wir uns für mehr Menschen öffnen und diese auch gerne bei uns arbeiten wollen.

Dies ist auch fest im Nachhaltigkeitsverständnis der FI verankert. Wir als Arbeitgeber setzen uns dafür ein, auf die Gleichberechtigung unserer Mitarbeitenden zu achten und z. B. auch die Integration und Inklusion von Menschen mit Behinderung zu fördern.

Sie kommen aus dem privaten Bankenbereich, haben international und interkulturell gearbeitet – gibt es etwas, was Sie in der Sparkassen-Finanzgruppe bzw. in der FI überrascht hat?

Julia Koch: Es ist natürlich schwierig, unterschiedliche Unternehmenskulturen und -sichtweisen miteinander zu vergleichen. Dennoch: Ich bin sehr angetan von der positiven Herangehensweise und dem Selbstverständnis der gesamten Organisation. Zum Beispiel bei der Aufgabe, innerhalb weniger Tage ganz pragmatisch Lösungen für die Kontoeröffnung von ukrainischen Geflüchteten zu schaffen und ihnen damit Zugang zum europäischen Zahlungsverkehr zu schaffen. Bereits Ende Mai führten die Sparkassen mehr als 224.000 Konten für Kriegsgeflüchtete; seit Anfang Mai steht die App »Sparkasse« Nutzerinnen und Nutzern auch auf Ukrainisch zur Verfügung. Neu ist für mich auch, in einem Umfeld zu arbeiten, das aufgrund seiner Strukturen und seiner Größe eine so bedeutende gesellschaftliche Rolle spielt. Mit den schnellen technologischen Lösungen der FI und der regionalen Umsetzungspower der Sparkassen bewegen wir eine ganze Menge. Das macht mich stolz und ist mir zugleich Verpflichtung für die Zukunft.


Veränderung ist ein gutes Stichwort. Die letzten Jahre haben die Finanz- und IT-Branche grundlegend verändert. Was sind aus Ihrer Sicht die Themen, die 2027 wichtig sein werden – und womit sich die Sparkassen schon heute beschäftigen sollten?

Julia Koch: Es wird heute immer schwieriger, eine Prognose für die nächsten fünf Jahre abzugeben. Hätten Sie 2015 jemandem geglaubt, der eine globale Pandemie mit massiven Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft vorhergesagt hätte? Von den anderen Entwicklungen gar nicht zu sprechen. Wenn man dennoch den Blick in die Zukunft wagt, dann liegen für mich zwei wichtige Entwicklungen ganz klar auf der Hand. Das Massengeschäft unserer Kunden wird noch viel stärker retailisiert werden – bis weit hinein ins Geschäft mit mittelständischen Unternehmen. Das heißt, möglichst voll digitale Prozesse und Services in allen Segmenten müssen eine sehr gute Customer Experience und eine möglichst fallabschließende automatische Bearbeitung ermöglichen. Es wird voraussichtlich eine Weiterentwicklung vom Omni-Channel-Ansatz hin zu einem sog. »Smart-Channel-Konzept« geben. Sie umfasst die Entwicklung eines kundenzentrierten, vielleicht auch regionalen Ökosystems, mittels dessen Vertriebs- und Prozesselemente unter Zuhilfenahme verschiedener Technologien, wie z. B. Künstliche Intelligenz, optimiert werden können. Im Ergebnis sollte die Vertriebseffizienz gesteigert und Prozesskosten für unsere Sparkassen und Verbundpartner reduziert werden. Ich denke zudem, dass der Wunsch des Konsumenten, möglichst viel selbst und in kurzer Zeit auf seinem Smartphone zu erledigen, weiter zunehmen wird. Das gilt erst recht, wenn wachsende technische Möglichkeiten der mobilen Devices zu immer neuen Anwendungsideen und Geschäftsprozessen führen. Es bleibt also spannend, worüber wir in 2027 aus Sicht unserer Kunden und technologisch reden werden. Sicherlich wird sich das Thema Nachhaltigkeit noch viel stärker als heute durch alle Bereiche der gemeinsamen Geschäftstätigkeit durchziehen: von den Lösungen für unsere Endkunden, über die Entwicklungsmechanismen und -prämissen bis hin zur Infrastruktur und zum Gebäudemanagement. Insbesondere als Rechenzentrumsbetreiber kommt uns eine besondere ökologische Verantwortung zu. Welche Technologietrends in fünf Jahren eine Rolle spielen werden, vermag ich nicht zu sagen. Für mich ist allerdings selbstverständlich, dass wir die großen wie auch die kleinen Entwicklungen der digitalen Transformation aufmerksam analysieren und nutzen werden. Denn: In jeder dieser Veränderungen steckt stets eine Chance für uns.

FI-Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.